Die inspirierende Kraft hinter der Christlichen Wissenschaft
DIE Christliche Wissenschaft oder Christian Science (sprich: christschen saiens) ist in der ganzen Welt mehr oder weniger bekannt. Auf Bahnhöfen, an Zeitungsständen und in Leihbibliotheken sind ihre Schriften ausgelegt, und in vielen Städten unterhält sie an günstig gelegenen Orten Lesesäle, die den Vorübergehenden die Gelegenheit bieten sollen, sich in aller Ruhe in die Schriften der Christlichen Wissenschaft zu vertiefen. Besonders bekannt ist die Zeitung The Christian Science Monitor, die einen großen Leserkreis hat und auf die auch etwa 4500 Redakteure abonniert sind.
Außer diesen Tatsachen weiß man im allgemeinen nicht viel mehr über die Christliche Wissenschaft, als daß sie gegen Ende des 19. Jahrhunderts von Mary Baker Eddy gegründet wurde. Einige unserer Leser mögen jedoch schon Gelegenheit gehabt haben, mit Christlichen Wissenschaftern zu sprechen, und mögen begreiflicherweise etwas verwirrt worden sein, als sie hörten, was diese Bewegung lehrt. Warum?
Nehmen wir ein Beispiel: Obwohl wir täglich das Böse in der Welt sehen können, existiert nach dem Glauben der Christlichen Wissenschaft das Böse in Wirklichkeit nicht. Auch der Tod soll nur eine Illusion sein; obwohl man zu sterben scheine, sei man in Wirklichkeit nicht tot. Selbst der Schmerz soll nur Einbildung sein und in Wirklichkeit nicht existieren, auch wenn sich der Leidende vielleicht im Todeskampf windet. Wenn man diese Erklärungen hört, mag man sich fragen, wie diese ungewöhnliche Religion entstand. Wie kam Mary Baker Eddy auf diese einzigartigen Lehren, und sind ihre Lehren christlich?
DIE INSPIRATION DER SCHRIFTEN
Mary Baker Eddy und die Christliche Wissenschaft sind fast gleichbedeutend, denn ihre Schriften bilden die Grundlage der Religion der Christlichen Wissenschaft. Ihr bekanntestes Werk und das Hauptlehrbuch der Kirche ist Wissenschaft und Gesundheit mit Schlüssel zur Heiligen Schrift, aber auch ihr Büchlein Unity of Good (Einheit des Guten) wird sehr geschätzt. Sie schrieb ferner das Manual of the Mother Church (Handbuch der Mutterkirche), das die für die Christliche Wissenschaft gültigen Regeln und Satzungen enthält. Weitere Schriften, die von treuen Christlichen Wissenschaftern sehr geschätzt werden, sind: Retrospection and Introspection (Rückblick und Einblick), eine Selbstbiographie, Miscellaneous Writings (Verschiedene Schriften, 1883—1896) und die kleine Broschüre No and Yes.
Nach Mary Baker Eddys Ansicht sind diese Schriften von Gott inspiriert. „Die Werke, die ich über die Christliche Wissenschaft geschrieben habe, enthalten die absolute Wahrheit“, behauptete sie. „Ich schrieb auf Befehl, und wer könnte davon abstehen, das niederzuschreiben, was Gott diktiert hat?“a Über die Kirchenregeln und -satzungen schrieb sie: „Sie entstanden nicht aus eigener Kraft und wurden zu verschiedenen Zeiten und nach Bedarf abgefaßt.“b
Noch heute verehren Christliche Wissenschafter die Schriften Mary Baker Eddys als das Wort Gottes. In der Januar-Ausgabe 1961 des Christian Science Journal, dem offiziellen Organ der Kirche, hieß es unter anderem: „Frau Eddy war nicht einfach jemand, der über Gottes Dinge schrieb. Ihre Offenbarung war die eigentliche Erscheinung dieser Dinge. Deshalb ist ihr Wort Gesetz, ihr Werk unfehlbar und sind ihre Schriften inspiriert. Jede Seite dieser Schriften wurde nach Gottes Diktat geschrieben; jede Zeile erstrahlt in Herrlichkeit; jede Satzung im Manual of the Mother Church stammt von Gott und muß befolgt werden. Von Ewigkeit zu Ewigkeit wird sich diese Wissenschaft immer mehr entfalten und in immer größerem Glanz erstrahlen.“
VEREHRUNG EINER FRAU
Gegen Ende des 19. Jahrhunderts begannen die Nachfolger Mary Baker Eddys sie als Bote Gottes zu würdigen. „Welch siegreiche Laufbahn einer Frau!“ konnte man im November 1885 im Christian Science Journal lesen. „Wer von uns wollte bestreiten, daß sie von Gott ebenso in die Welt gesandt wurde wie alle in der Bibel erwähnten Gestalten?“ Wie sehr sie verehrt wurde, geht auch aus der Einleitung des folgenden Briefes hervor, der an sie gerichtet war: „Liebe Mutter — Gesegnetste aller Frauen! Oh, wie sehne ich mich doch danach, im Hörbereich Ihrer Stimme zu sitzen und die Wahrheit zu vernehmen, die von oben kommt!“c
In diesem Zusammenhang ist es auch interessant festzustellen, daß in einem Kapitel der dritten Ausgabe des Buches Wissenschaft und Gesundheit (engl. 1881) Gott durchweg „Mutter“ genannt wird, und selbst in den Ausgaben, die heute allgemein gebraucht werden, erscheint auf Seite 16 das Gebet des Herrn nach Mary Baker Eddys Wiedergabe mit folgendem Wortlaut: „Unser Vater-Mutter Gott, allharmonisch ... Einzig Anbetungswürdiger ... Dein Reich ist gekommen; du bist immergegenwärtig.“ Ist es nicht bezeichnend, daß Mary Baker Eddy auch den Titel Mutter annahm und daß in Ausgaben des Kirchenhandbuches, die vor 1903 herauskamen, festgelegt war, daß dieser Titel keinem anderen Mitglied der Kirche beigelegt werden dürfe?
Das Gespött wegen der dadurch entstehenden Verwicklungen machte eine Revision des Kirchenhandbuches notwendig, und Artikel XXII lautet seither: „Es ist die Pflicht der Christlichen Wissenschafter, das Wort Mutter aufzugeben und statt dessen Führerin zu sagen.“ Um aber ihre Vorrangstellung zu behalten, ordnete Mary Baker Eddy an, diese Bezeichnung dürfe „von den Mitgliedern dieser Kirche auf kein anderes Mitglied angewandt werden, sofern sie in Verbindung mit der Christlichen Wissenschaft“ gebraucht werde. Es dürfte Christlichen Wissenschaftern schwerfallen, diese Satzung mit dem Gebot Jesu in Übereinstimmung zu bringen: „Auch laßt euch nicht ‚Führer‘ nennen, denn e i n e r ist euer Führer, der Christus.“ — Matth. 23:10, NW.
Ein weiterer Schritt, der verriet, daß sich Mary Baker Eddy ihre Vorrangstellung sichern wollte, war die Absetzung der Pastoren und ihre Ersetzung durch Vorleser. In den Versammlungen und Gottesdiensten der Christlichen Wissenschaft, die mittwochs abends und sonntags stattfinden, werden lediglich Abschnitte aus der Bibel und aus dem Buch Wissenschaft und Gesundheit mit Schlüssel zur Heiligen Schrift vorgelesen. Das Kirchenhandbuch verbietet den Vorlesern, „die PREDIGTLEKTION irgendwie zu erläutern“ oder einen bibelerklärenden Vortrag zu halten. Durch diese Einschränkung wird die ganze Aufmerksamkeit auf das Wort Mary Baker Eddys gelenkt. Eine weitere Maßnahme, die dazu dienen soll, sie besonders zu ehren, ist die Satzung, die bestimmt, daß die Vorleser bei jedem Gottesdienst „vor Beginn der Lesung aus WISSENSCHAFT UND GESUNDHEIT MIT SCHLÜSSEL ZUR HEILIGEN SCHRIFT genau den vollständigen Titel des Buches und den Namen der Verfasserin angeben sollen“.
Es ist interessant zu beobachten, daß diesen Richtlinien entsprochen wird, denn Mary Baker Eddys Name erscheint fast auf jeder Seite der religiösen Schriften, die von der Christlichen Wissenschaft herausgegeben werden. Ohne Zweifel betrachtet man sie als die Lehrerin aller Christlichen Wissenschafter. Wo findet man aber in der Bibel eine Stütze dafür, daß eine Frau eine solch wichtige Rolle spielen dürfte? Sagte der inspirierte Apostel Jesu Christi nicht: „Ich gestatte einer Frau nicht, zu lehren oder Gewalt über einen Mann auszuüben“? Aber selbst heute wirken bei der Christlichen Wissenschaft viele Frauen als Lehrer. Eine Frau, Helen Wood Bauman, bekleidet als Präsidentin der Mutterkirche in Boston sogar das höchste Amt der Kirche. — 1. Tim. 2:11, 12, NW.
ÜBERSINNLICHE ERFAHRUNGEN
Christliche Wissenschafter behaupten, Mary Baker Eddy werde von ihnen deshalb so hochgeachtet, weil sie keine gewöhnliche Frau gewesen sei, sondern Eingebungen vom Himmel empfangen habe. Über solche Mitteilungen schrieb Mary Baker Eddy in Retrospection and Introspection folgendes:
„Als ich etwa acht Jahre alt war, hörte ich wiederholt eine Stimme, die mich deutlich bei Namen rief ... Ich dachte, es sei die Stimme meiner Mutter, und ging manchmal zu ihr und fragte sie, was sie wolle. Ihre Antwort war stets: ‚Nichts, mein Kind! Was meinst du?‘ ... Als uns eines Tages meine Cousine Mehitable Huntoon besuchte und ich im Zimmer der Großmutter auf einem Stühlchen neben ihr saß, ertönte der Ruf wieder, und zwar so laut, daß Mehitable ihn hörte.“
Die junge Mary Baker war auch später für Einflüsse aus dem geistigen Reich empfänglich. Sibyl Wilbur schreibt in ihrer kirchlich anerkannten Biographie: „Die geistigen Erfahrungen der Mary Baker [waren] so ernst und ungewohnt wie früher ihre ‚Stimmen‘.“ Um aber zu verstehen, welcher Natur diese Erfahrungen waren, muß man wissen, welche Verhältnisse damals herrschten.
Mary Baker wurde 1821 in Bow, New Hampshire, geboren, und als sie eine junge Frau war, bildete der Spiritismus in ganz Neuengland eines der wichtigsten Gesprächsthemen. „Medien wurden allerorten entdeckt“, erklärt Sibyl Wilbur. „Das Heilen von Krankheiten durch die hellsehende Diagnose und den Mesmerismus wurde ganz allgemein geglaubt.“ Nach dem Tod ihres ersten Mannes, George Washington Glover (1844) lernte Mary verschiedene Spiritisten kennen. „Sie verkehrte jahrelang mehr oder weniger mit Spiritisten“, bestätigt Sibyl Wilbur, und „zuweilen wohnte sie sogar spiritistischen Geistersitzungen bei.“
Obwohl man sich von offizieller Seite aus bemüht, die damaligen Verbindungen Mary Glovers mit dem Spiritismus möglichst unbedeutend darzustellen, liest man in der urkundlich gut belegten Biographie von Georgina Milmine (1907) folgendes:
„Es gibt Leute, die sich noch gut an die Zeit erinnern können, da in Tilton der Spiritismus Trumpf war, und die Zeugen von Kundgebungen waren, die bestätigen, daß Frau Glover ein Medium war. Eine ältere Frau erinnert sich noch an eine Nacht, die sie mit Mary Glover verbrachte und in der sie immer wieder durch das seltsame Klopfen und durch Marys Hinweise auf die ‚Erscheinung‘ verschiedener Geister, die kamen und gingen, gestört wurde.“
Frau Richard Hazeltine bezeugte in einer eidesstattlichen Erklärung folgendes:
„Als wir dort beisammen waren, sagte uns Frau Glover, ihre hohe geistige Begabung und die Reinheit ihres Lebens bewiesen, daß sie in der geistigen Welt nur von einem Apostel oder von Jesus Christus geleitet werden könne. Ihre Mitteilungen, die sie in der Trance den Mitgliedern des Zirkels mache, kämen durch sie als Medium vom Geiste eines Apostels oder Jesu Christi, sagte Frau Glover.“
Während ihres Aufenthalts bei Sarah Crosby im Sommer 1864 bewies Frau Glover, die inzwischen durch ihre Heirat mit Dr. Daniel Patterson im Jahre 1853 Frau Patterson geworden war, erneut, daß sie ein vortreffliches Geistermedium war. Sibyl Wilbur bemüht sich in ihrer kirchlich anerkannten Biographie jedoch, Mary als eine Gegnerin des Spiritismus darzustellen, die gewisse Erscheinungen nur zum Scherz und zur Täuschung hervorgerufen habe.
„Mrs. Patterson [ersann] einen ebenso vortrefflichen wie harmlosen Scherz, den sie sofort ausführte. Nach der Schilderung der Mrs. Crosby lehnte sich Mrs. Patterson eines Tages, während sie ihr am Tisch in dem großen Kinderzimmer gegenüber saß, plötzlich im Stuhl zurück, zitterte am ganzen Leibe, schloß die Augen und fing an, mit tiefer Grabesstimme zu reden. Es schien Albert Bakers [Marys verstorbenen Bruders] Stimme zu sein ... Mrs. Patterson ... erwartete ..., Mrs. Crosby werde die Absicht sehr bald merken und mit ihr darüber lachen. Doch nein ... Mrs. Patterson setzte [daher] den Scherz in einer Heiterkeit, die sie sich selten erlaubte, fort. Am nächsten Tage täuschte sie noch eine ‚Verzückung‘ vor.“
Mary Baker Eddy bestritt später jedoch energisch, daß ihre „Wissenschaft“ etwas mit Spiritismus zu tun habe, ja sie widmete in ihrem Werk Wissenschaft und Gesundheit dem Thema „Die Christliche Wissenschaft gegen den Spiritualismus“ ein ganzes Kapitel. Dennoch gibt sie zu, daß sie die gleichen Ergebnisse erzielen könne wie die Spiritisten. Das bestätigen folgende Erläuterungen aus dem Buch Wissenschaft und Gesundheit (2. Ausgabe, 1878, Seite 166):
„Nur auf eines möchte ich hinweisen: auf die gegenwärtige Ansicht, wir müßten Spiritisten oder Medien sein ... Wir waren aber nie Spiritisten, waren auch nie Medien und hätten auch nie welche sein können, noch sagten wir je, wir seien Medien. Wir haben den Schülern, die sich Spiritisten nennen, erklärt, wie ihre Zeichen und Wunder zustande kämen, und haben es veranschaulicht, indem wir sie selbst hervorriefen, aber gleichzeitig sagten, es sei nicht das Werk von Geistern, und wir seien keine Medien.“
DIE GEBURT DER CHRISTLICHEN WISSENSCHAFT
Trotz Mary Baker Eddys gegenteiliger Behauptungen ist die Christliche Wissenschaft untrennbar mit übernatürlichen Erscheinungen spiritistischer Natur verbunden. Eine Betrachtung der Ereignisse, die dem Jahr 1866 vorausgingen, läßt dies noch deutlicher erkennen. In jenem Jahr entdeckte Mary Baker Eddy nach ihrer offiziellen Angabe die Christliche Wissenschaft.
Wegen ihres chronischen Leidens, das immer schlimmer wurde, suchte Frau Patterson 1862 schließlich Hilfe bei Dr. Phineas P. Quimby in Portland (Maine), einem Wunder wirkenden Heiler. „Es spielte keine Rolle, ob Quimby Mesmerist oder Spiritist war, oder ob er magnetische Ströme übermittelte“, schreibt Sibyl Wilbur. „Die Hauptsache war, er heilte.“ Frau Patterson begab sich also zu ihm, und die von ihr anerkannte Biographie berichtet, was geschah: „Allmählich rief er den Zauber des Hypnotismus hervor, und unter dieser Gedankenbeeinflussung ließ sie die Schmerzenslast ... fallen ... Quimby war über ihre plötzliche Heilung selbst erstaunt.“
Darauf wurde Frau Patterson eine ergebene Schülerin Quimbys. „Sie sprach mehr über den Quimbismus als über irgendein anderes Thema“, berichtet die von ihr anerkannte Biographie. Sie studierte sorgfältig seine Schriften, die später in dem Werk The Quimby Manuscripts veröffentlicht wurden, und verteidigte seine übernatürlichen Heilkräfte als „die Auswirkungen einer höheren Weisheit, die eine Wissenschaft vor Augen führt, die nicht verstanden wird“.d Als es sich aber später zeigte, daß ihr Werk Wissenschaft und Gesundheit mit Quimbys Handschriften Ähnlichkeit hatte, bestritt sie, ihre Gedanken von ihm zu haben, und sprach von ihm geringschätzig als von einem unwissenden Mesmeristen.
Nach Quimbys Tod (1866) und in den Jahren danach, in denen sie die erste Ausgabe ihres Werkes Wissenschaft und Gesundheit schrieb, hielt Frau Patterson ihre enge Verbindung mit Spiritisten weiter aufrecht. Um diese Zeit trennten sie und ihr zweiter Mann sich für immer, und sie wohnte von da an bei den Eheleuten Crafts und Websters, bei Fräulein Bagley und bei dem Ehepaar Wentworth, die sich alle mit Spiritismus befaßten. Während ihres Aufenthalts bei Websters warb sie sogar in der Spiritisten-Zeitung Banner of Light (Banner des Lichts) für ihre Heilkunst.
Im Jahre 1875 konnte sie schließlich ihre Schriften drucken lassen, und in der ersten Ausgabe des Buches Wissenschaft und Gesundheit (Seite 4) behauptete sie: „1864 entdeckten wir zum erstenmal, daß geistig angewandte Wissenschaft Kranke heilen kann.“ In späteren Ausgaben änderte sie das Datum jedoch auf 1866 ab, weil sie angeblich in jenem Jahr durch ein Wunder geheilt wurde.
Die Christliche Wissenschaft war nun geboren, aber eine Zeitlang schien sie keinen Anklang zu finden. Als Mary Baker Eddy 1879 die „Kirche Christi, Wissenschafter“, gründete, zählte diese nur 26 Mitglieder. Persönliche Unstimmigkeiten und Mißverständnisse hinderten den Fortschritt. Selbst als die einundsechzigjährige Mary Baker Eddy 1882 nach Boston zog, hatte sie immer noch nur eine kleine Schar Anhänger, zu denen auch ihr dritter Mann, Asa Eddy, gehörte, den sie fünf Jahre vorher geheiratet hatte. Im Sommer dieses Jahres starb Asa Eddy, und bald danach wurden die Aussichten für die Bewegung der Christlichen Wissenschaft allmählich günstiger.
Im Jahre 1885 konnte sie James Henry Wiggin, der in Bostons Schriftstellerkreisen großes Ansehen genoß, dazu gewinnen, den etwas steifen und unbeholfenen Stil des Buches Wissenschaft und Gesundheit zu überarbeiten und zu verbessern. Mary Baker Eddy änderte bei dieser Gelegenheit auch die Form ihres Lehrbuches, fügte einige Kapitel hinzu und nahm einige Streichungen vor. Da sich das Buch nun leichter lesen ließ, fand es auch besseren Absatz. Mary Baker Eddys Religion begann sich auszubreiten, ja sie erfuhr eine ungeahnte Ausdehnung. Als ihre Gründerin 1910 im Alter von 89 Jahren starb, waren Zehntausende von Mitgliedern mit den 1247 Zweigkirchen verbunden. Es ist schwierig, ein genaues Bild über die Mitgliederzahlen zu erhalten, aber nach einem unlängst veröffentlichten Bericht soll es insgesamt etwa 367 570 Christliche Wissenschafter geben, von denen 80 Prozent in den Vereinigten Staaten leben.
EINE OFFENBARUNG GOTTES?
Trotz der vielen, ziemlich überzeugenden Beweise, daß Mary Baker Eddy viele Gedanken von Quimby übernahm und Wiggin ihre Schriften bedeutend überarbeitete, behaupten Christliche Wissenschafter, sie sei von Gott inspiriert gewesen. Sie glauben, die Stimmen, die sie hörte, und ihre seltsamen übersinnlichen Erfahrungen seien von Gott gewesen. Stimmt das aber? Sind die Lehren, die sie empfing, mit Gottes Wort, der Bibel, in Übereinstimmung? Wir wollen sehen.
Fragen wir vor allem zunächst einmal, was Mary Baker Eddy über Gott lehrte. In einer ihrer ersten Schriften, betitelt Die Wissenschaft des Menschen, behauptete sie: „Jehova ist nicht eine Person. Gott ist ein Prinzip.“ Und in Wissenschaft und Gesundheit mit Schlüssel zur Heiligen Schrift (Seite 275) schrieb sie: „Der Ausgangspunkt der göttlichen Wissenschaft ist, daß Gott, Geist, Alles-in-allem ist, daß es keine andre Macht und kein andres Gemüt gibt — daß Gott Liebe ist, und daß Er daher das göttliche Prinzip ist.“
In Unity of Good bestätigte sie diese Ansicht: „Wahrheit ist GOTT.“ „Leben ist GOTT.“ „Gemüt ist GOTT.“ „Die Summe des Ganzen ist, daß GOTT alles ist und GOTT Geist ist; somit gibt es nichts als Geist, und demnach gibt es keine Materie.“ Einige Seiten weiter führt sie aus: „Da GOTT überall ist, kann der Tod nirgends sein, weil es für ihn keinen Platz gibt.“ Dadurch kam sie zu folgender Schlußfolgerung (Seite 61): „Ich bin der Meinung, daß der Mensch ebenso in sich abgeschlossen und ewig ist wie GOTT und daß der Mensch gleichzeitig mit GOTT existiert.“
Wir lesen daher auf den Seiten 475, 476 und 486 des Buches Wissenschaft und Gesundheit mit Schlüssel zur Heiligen Schrift:
„Der Mensch ist nicht Materie; er besteht nicht aus Gehirn, Blut, Knochen und andern materiellen Elementen ... Der Mensch ist geistig und vollkommen ... er [muß] in der Christlichen Wissenschaft also verstanden werden ... Der Mensch ist der Sünde, der Krankheit und des Todes unfähig. Der wirkliche Mensch kann von der Heiligkeit nicht abweichen ... In der göttlichen Wissenschaft sind Gott und der wirkliche Mensch untrennbar göttliches Prinzip.“ „In Wirklichkeit stirbt der Mensch niemals.“
Und wie werden unsere fünf Sinne — Sehen, Fühlen, Riechen, Schmecken und Hören — erklärt? Auf Seite 477 des Buches Mary Baker Eddys lesen wir:
„Den fünf körperlichen Sinnen erscheint der Mensch als Materie und Gemüt vereinigt; aber die Christliche Wissenschaft enthüllt, daß der Mensch die Idee Gottes ist, und erklärt, daß die körperlichen Sinne sterbliche und irrende Illusionen sind. Die göttliche Wissenschaft zeigt die Unmöglichkeit, daß ein materieller Körper der Mensch sein kann ... selbst wenn dieser Körper mit dem höchsten Stratum der Materie, fälschlicherweise Gemüt genannt, durchwoben ist.“
Die Bibel sagt jedoch nach 1. Mose 2:7: „Und Jehova Gott bildete den Menschen, Staub von dem Erdboden, und hauchte in seine Nase den Odem des Lebens; und der Mensch wurde eine lebendige Seele.“ Wie erklärt Mary Baker Eddy diesen Bibelvers? Auf Seite 524 ihres Lehrbuches zitiert sie ihn und fragt dann: „Ist diese ... Schöpfung [der Mensch] wirklich oder unwirklich? Ist sie die Wahrheit oder ist sie eine Lüge ...?“ Sie antwortet: „Sie muß eine Lüge sein, denn Gott verflucht alsbald die Erde.“ Somit verwirft sie folgende deutliche Erklärung der Bibel, die auch mit der wahren Wissenschaft übereinstimmt: „Der erste Mensch ist aus der Erde und von Staub gemacht.“ — 1. Kor. 15:47, NW.
Mary Baker Eddy leugnete demnach die biblische Lehre, daß Adam und Eva vollkommene menschliche Geschöpfe Gottes waren, später aber sündigten. „Die Sterblichen sind nicht gefallene Kinder Gottes“, schrieb sie. „Sie haben niemals einen vollkommenen Zustand des Seins besessen, der später wiedergewonnen werden könnte.“e Sollen wir daraus schließen, daß sie auch das Loskaufsopfer Jesu Christi leugnete? Sie läßt uns darüber nicht im Zweifel, denn sie behauptete: „Das materielle Blut Jesu vermochte ebensowenig von Sünde zu reinigen, als es an dem Fluchholz vergossen ward, denn da es in seinen Adern floß, als er täglich in dem war, das seines Vaters ist.“f
UNCHRISTLICH UND UNWISSENSCHAFTLICH
Wie verschieden sind doch diese Lehren von dem Worte Gottes, der Bibel! „Gott [hat] den Menschen aufrichtig geschaffen“, sagt sein Wort. (Pred. 7:29; 5. Mose 32:4, 5) Ja, Adam und Eva wurden vollkommen erschaffen, sündigten aber später und übertrugen die Sünde dann auch auf ihre Nachkommen. Gottes Wort erklärt dies wie folgt: „Durch einen Menschen ist die Sünde in die Welt gekommen, und durch die Sünde der Tod. Darum ist der Tod zu allen Menschen gelangt, weil alle gesündigt haben.“ (Röm. 5:12, Albrecht; 3:23) Dank seiner großen Liebe sandte Gott jedoch „seinen Sohn ... in die Welt, ... damit die Welt [die gehorsamen Menschen] durch ihn gerettet werde“. Um aber diese Erlösung zu erwirken, mußte Jesus sein Lebensblut vergießen, denn nach Gottes Gesetz kommt „ohne Blutvergießen ... keine Vergebung zustande“. — Joh. 3:17; Hebr. 9:22, NW.
Der christliche Apostel Johannes sagte nicht, der Mensch sei „vollkommen“ und „der Sünde unfähig“ und das Blut Jesu vermöge nicht „von Sünde zu reinigen“. Nein. Er stimmte mit Gottes inspiriertem Wort überein, denn er schrieb: „Das Blut Jesu, seines [Gottes] Sohnes, reinigt uns von aller Sünde. Wenn wir erklären: ‚Wir haben keine Sünde‘, so führen wir uns selbst in die Irre, und die Wahrheit ist nicht in uns.“ — 1. Joh. 1:7, 8, NW.
Mary Baker Eddys unklare Argumentation widerspricht der biblischen Wahrheit also offensichtlich. Welch nichtssagende, schriftwidrige Philosophie, zu sagen: „Wahrheit ist GOTT“, oder: „GOTT [ist] überall“! Jehova ist ein persönlicher Gott, der die höchste Weisheit und die größte Macht besitzt. Er, nicht die abstrakte, leblose Wahrheit, hat den Menschen erschaffen. Die Bibel läßt an verschiedenen Stellen erkennen, daß Gott eine Persönlichkeit ist und eine bestimmte Stellung innehat. Der Apostel Paulus schrieb zum Beispiel, Jesus sei „in den Himmel selbst“ aufgefahren, „um nun vor der Person Gottes für uns zu erscheinen“. — Hebr. 9:24, NW.
Da die Bibel sagt: „Jehova, unser Gott, ist nur ein Jehova“, und: „Er hat uns gemacht, und nicht wir selbst“, wie könnte da der Mensch „gleichzeitig mit GOTT“ existieren? Die Bibel zeigt, daß dies nicht der Fall sein kann. Sie widerspricht auch Mary Baker Eddys Lehre, die sie mit den Worten ausdrückte: „In Wirklichkeit stirbt der Mensch niemals.“ Gott sagte zu dem Sünder Adam, er werde „gewißlich sterben“, wenn er nicht gehorche. Und er starb. — 5. Mose 6:4; Ps. 100:3; 1. Mose 2:17.
Welche Gotteslästerung, Sünde, Krankheit und Tod mit der unwissenschaftlichen Ansicht, die wunderbaren Sinne des Menschen seien „sterbliche und irrende Illusionen“ und der Mensch bestehe „nicht aus Gehirn, Blut, Knochen und andern materiellen Elementen“, abtun zu wollen! Der Mensch ist eine wunderbare Schöpfung Gottes. Der Psalmist David sang: „Ich preise dich darüber, daß ich auf eine erstaunliche, ausgezeichnete Weise gemacht bin.“ Zugegeben, der Mensch ist von seiner ursprünglichen Vollkommenheit weit abgewichen, aber in Gottes neuer Ordnung der Dinge, die nun bald Wirklichkeit wird, werden ihm die Segnungen des Loskaufsopfers Jesu zuteil, und er wird zur menschlichen Vollkommenheit zurückkehren. — Ps. 139:14; Offb. 21:4.
Die Christliche Wissenschaft bestreitet dies. Sie bemüht sich, physische Krankheiten zu heilen, indem sie den Leidenden klarzumachen sucht, daß Schmerz sowie das materielle Dasein unwirklich seien und nur vermeintlich existierten. Diese Lehre kommt aber nicht von Gott; sie läßt sich weder durch Gottes Wort, der Bibel, noch durch wissenschaftliche Tatsachen beweisen. Folglich muß die Kraft, die Mary Baker Eddy inspirierte, von bösen Geistermächten stammen, die darauf ausgehen, die Menschen für die Wahrheit blind zu machen, und vor deren Einfluß Gottes Wort ausdrücklich warnt. — 5. Mose 18:9-12; Gal. 5:19-21; Offb. 21:8, NW.
[Fußnoten]
a Miscellaneous Writings 1883—1896, Seiten 311 und 148.
b Miscellaneous Writings 1883—1896, Seiten 311 und 148.
c Miscellaneous Writings 1883—1896, Seite 415.
d Portland Courier, 7. November 1862.
e Wissenschaft und Gesundheit mit Schlüssel zur Heiligen Schrift, Seiten 476 und 25.
f Wissenschaft und Gesundheit mit Schlüssel zur Heiligen Schrift, Seiten 476 und 25.